Wie sind ESG-Kriterien messbar?
Hannah Dellemann, Head of Sustainability, INTREAL International Real Estate Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH
The Property Post: Frau Dellemann, Sie sprechen mit zahlreichen Asset-Managern, die Fondspartner der INTREAL sind. Wie ist in den einzelnen Häusern der Stand der Verbrauchsdatenerfassung?
Hannah Dellemann: Wenn wir von Verbrauchsdaten sprechen, geht es ja in der Regel um das „E“ in „ESG“, also um Daten mit einem ökologischen Bezug. Hier ist das Bild zurzeit sehr durchmischt. Am stärksten steht das Thema dort im Fokus, wo es sich um besonders nachhaltigkeitsorientierte Fonds – im Sinne des Art. 8 oder 9 Offenlegungsverordnung – handelt. Unter praktischen Gesichtspunkten resultieren die Unterschiede aber auch zu einem großen Teil aus den Wegen, auf denen man an die benötigten Daten herankommt. Dies wiederum hängt stark von baulichen und anderen technischen Voraussetzungen, beispielsweise vom Einsatz von Smart Metern, ab. Einige unserer Fondspartner bekommen die Daten direkt von ihren Mietern, so zum Beispiel bei Single-Tenant-Objekten. In anderen Fällen gehen die Fondspartner direkt auf die Verteilnetzbetreiber zu. Diese sind zwar zur Herausgabe der Daten verpflichtet, doch stellt sich im konkreten Einzelfall jeweils die Frage, wie aussagekräftig die Daten sind, in welchem Format sie bereitgestellt werden, wie schnell sie zur Verfügung stehen und welche Kosten der Netzbetreiber dafür in Rechnung stellt.
TPP: Wo liegen die größten Herausforderungen?
H. D.: Ein Problem besteht darin, dass es gegenüber den Mietern bislang keinen Rechtsanspruch auf die Herausgabe der benötigten Daten gibt. Bei Green Leases sind entsprechende Vereinbarungen zwar inzwischen immer häufiger anzutreffen, aber das ist bei weitem noch nicht die Regel. Zudem gibt es nicht den einen Weg zur Erfassung der Verbrauchsdaten, sondern mehrere verschiedene Möglichkeiten, die in Abhängigkeit von der Immobilien-Assetklasse oder von der Mieterstruktur variieren. Auch der Zeitfaktor stellt oft eine erhebliche Herausforderung dar. Ideal wäre es natürlich, die Daten in Echtzeit zu bekommen, doch meist erhält man vom Mieter oder über die Netzbetreiber nur historische Daten. Das macht es natürlich schwer, die Auswirkungen bestimmter Maßnahmen auf die Entwicklung der Verbrauchsdaten nachzuvollziehen und bei Bedarf nachzujustieren. Allerdings sind Verbrauchsdaten auch nur einer von mehreren Aspekten; dazu kommen ja beispielsweise auch Daten zu bestimmten Eigenschaften oder Maßnahmen, etwa im Bereich der Energieeffizienz.
TPP: Ist Datenschutz ein großer Hemmschuh?
H. D.: Zum Teil erschweren Datenschutzvorschriften die Erfassung von ESG-relevanten Daten, aber das größere Problem sind aktuell die stark variierenden Möglichkeiten der Erfassung, beispielsweise aufgrund unterschiedlicher technischer oder baulicher Voraussetzungen. Sobald Daten anonymisiert beziehungsweise aggregiert zur Verfügung gestellt werden können, ist der Datenschutz kein Hindernis.
TPP: Ist das Schätzen eine gute Alternative, wenn es keine Ist-Daten gibt?
H. D.: Wenn es keine Ist-Daten gibt, ist in der Praxis der Blick in den Energieausweis eine oft genutzte Alternative. Eine reine Schätzung anhand von Energie-Benchmarks ist allerdings wenig geeignet, da sie keine Messung von Erfolgen erlaubt. Außerdem sind die einzelnen Gebäude jeweils zu individuell, um sich mithilfe von Schätzungen den Ist-Daten im konkreten Einzelfall anzunähern. Um aus Schätzungen belastbare Entscheidungen darüber ableiten zu können, wo wie viel investiert werden soll, um konkrete Verbesserungen bei bestimmten ESG-Kriterien zu erreichen, müssen auf jeden Fall weitere Gebäudedaten herangezogen werden. Natürlich sind alle Daten, auch geschätzte, besser als keine Daten. Entscheidend ist, dass sich mit der Immobilie beschäftigt wird. Aktuell geht es daher vor allem um die Erfassung von Ist-Daten und Gebäudeeigenschaften, was ja auch richtig ist. Aber perspektivisch sollen die erfassten Daten natürlich auch dazu dienen, konkrete Maßnahmen zur Optimierung von Gebäuden zu planen und später den Erfolg dieser Maßnahmen zu kontrollieren.
TPP: Welches ESG-Scoring Modell ist am weitesten verbreitet? GRESB, ECORE oder ein anderes?
H. D.: Aktuell dürfte GRESB am weitesten verbreitet sein, ist aber dennoch bislang nicht der einzige Marktstandard. In der Praxis erscheint es mir so, dass Scoring-Modelle wieder etwas an Bedeutung verlieren, weil sie sich als zu komplex erweisen und sich oft die Frage nach der Vergleichbarkeit einzelner Objekte auf Basis der Scorings stellt. Um einen ersten Eindruck zu gewinnen, ist ein Scoring absolut sinnvoll, daher haben wir auch ein eigenes Modell mit deutlich weniger Fragen entwickelt, als man es aus den zuvor genannten Scorings kennt. Dazu kommt, dass durch die Artikel-8- und Artikel-9-Strategien auch andere Wege geschaffen werden, ESG-Kriterien zu erfassen, insbesondere auch dann, wenn es um „S“- oder „E“-Kriterien geht. So können Dekarbonisierung oder die Schaffung von Kitaplätzen unter ESG-Aspekten positive Effekte haben, sind aber nicht direkt miteinander vergleichbar, zumindest nicht quantitativ.
TPP: Frau Dellemann, vielen Dank für das Gespräch.